Der Massenmord in El Paso ähnelt dem in Christchurch. Rassistisch motiviert und vorab im Internet angekündigt.
Die Presse 5.8.2019 (LINK)
Amoklauf oder Terroranschlag? Diese Frage steht nach Massentötungen sofort im Raum. Die Trennlinien sind dabei nicht immer eindeutig zu ziehen. Terroristen bedienen sich häufig einer Amoklauftaktik. Das wahrscheinlich zutreffendste Unterscheidungskriterium ist die politische Motivation respektive Zielsetzung von Gewalt. Diese ist, neben der taktisch- logistischen Fähigkeit, einen Anschlag durchzuführen, die wesentliche Voraussetzung für Terror.
Im Falle des rechtsextremistisch motivierten Terroranschlags von El Paso am vergangenen Wochenende war beides gegeben: Der mutmaßliche Attentäter, ein 21-jähriger Texaner, hat ganz bewusst eine neunstündige Autofahrt auf sich genommen, um zahlreiche Menschen zu töten. Dies war keine Impulshandlung, sondern ein kaltblütig geplanter, rassistisch begründeter Mord. Die Opfer sind mehrheitlich mexikanischstämmige Personen, die in einem grenznahen Einkaufszentrum bummelten.
Das Tatmuster ähnelt jenem der Anschläge im neuseeländischen Christchurch im Frühjahr. Der verdächtige Todesschütze ist wie der Attentäter von Christchurch, Brenton Tarrant, ein „White Supremacist“. Also jemand, der von der „Überlegenheit der weißen Rasse“ überzeugt und vom Narrativ des „Großen Austauschs“, einer infamen Verschwörungstheorie, die eine bewusste „rassische Umvolkung“ durch politische Kräfte suggeriert, beseelt ist. Er hat seinen geplanten Massenmord auf einschlägigen Netzplattformen wie 8Chan angekündigt und ein derbes Manifest verfasst, in dem er seine heimtückische Tat als Selbstverteidigung gegen eine vermeintliche Invasion durch Zuwanderer rechtfertigt.
Zuletzt schrieb Robert Evans vom Trend der Gamifizierung („gamification“) des Terrors. Vor allem in der rechtsextremistischen Szene werden soziale Netzwerke stets intensiver dazu benutzt, um das Massenmorden propagandistisch auszuschlachten. Bereits Tarrant streamte seinen Ego-Shooter-Mord live im Internet, auch sein Nachahmer in El Paso kündigte dort sein Tatvorhaben an und postete dann auch sein zynisches „Manifest“. Es scheint beim Rechtsterror fast ein Wettbewerb um die höchstmögliche Opferzahl ausgebrochen zu sein. In der Szene kursieren „Beat my score“-Fotos von Breivik, Tarrant u. a. Eine brandgefährliche Entwicklung, wenn das reale Töten als (Computer?-)Spiel begriffen wird!
Feindselige Rhetorik
Das Pamphlet des Attentäters strotzt vor billiger Polemik und rechtsextremistischer Propaganda. Immer wieder ist von einer „existenziellen Bedrohung“ die Rede. Man kommt nicht umhin, aktuelle Äußerungen des amtierenden US-Präsidenten, der pauschal von einer „Migrantenkarawane“ und einem „Rudel“ („wolfpack“) von Kriminellen sprach zu kontextualisieren. Es steht außer Zweifel, dass Trumps zuspitzende, mitunter politisch inkorrekte Wortwahl, die auch dem Wahlkampf geschuldet sein mag, dazu beiträgt, in den USA ein Klima der Spaltung zu befördern. Eine feindselige Rhetorik mit exklusiven Identitätskonstruktionen, ein liberales Waffengesetz und ebenjenes verdorbene politische Klima sind der Nährboden, quasi ein begünstigendes Milieu, für derartige Schreckenstaten. Dabei ist es unerheblich, ob Rechtsextreme oder Jihadisten die Attentäter sind. Denn Terrorismus bleibt eine subversive Taktik des perfiden Mordens Unschuldiger zu politischen Zwecken unter größtmöglicher öffentlichkeitswirksamer Ausschlachtung. Dessen Seinsgrund ist – wie sein Name schon verheißt – der Schrecken.
Dr. Nicolas Stockhammer ist Terrorismusforscher und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen der Forschungsgruppe Polemologie und Rechtsethik (Universität Wien und Landesverteidigungsakademie).